Sport & Gesundheit, 5. August 2025

„Der innere Schweinehund“

Interview mit Prof. Ingo Froböse & Sarah Siepelmeyer (Psychologin M.Sc.)

Zwei Männer springen und klatschen ein
„Wie gesund lebt Deutschland?“ Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus dem aktuellen DKV-Report?

Froböse: Es bereitet mir in der Tat große Sorgen, dass sich die Situation in Deutschland zunehmend verschärft. Besonders auffällig sind die Herausforderungen, die sich unter dem Aspekt „Bewegungsmangel“ zusammenfassen lassen. Wir haben uns zu einer gestressten Sitzgesellschaft entwickelt, bewegen uns viel zu wenig, während unsere Ernährungsweise oft ungesund ist. Für unseren Körper bedeutet das eine Vielzahl an Belastungen!

Werfen wir einen Blick auf ein konkretes Ergebnis aus dem DKV-Report, das die dramatische Lage verdeutlicht: Im Durchschnitt verbringen wir etwa 10 Stunden täglich im Sitzen, die jüngere Generation sitzt sogar länger. Im Schnitt bewegen wir uns pro Woche nur etwa 75 Minuten ausreichend intensiv, dabei empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mindestens das Doppelte: 150 Minuten, um überhaupt gesundheitlich zu profitieren!

Diese körperliche Unterforderung geht häufig mit einer mentalen Überlastung Hand in Hand. Viele Menschen berichten genau von diesen Herausforderungen: ein Ungleichgewicht, das auf Dauer erhebliche psychische Problemen nach sich ziehen kann. Wenn ein Ventil für Stressabbau fehlt und ungesunde Ernährung, Rauchen und Alkoholkonsum dazukommen, wird deutlich: Es steht nicht gut um die Gesundheit in Deutschland. Das bestätigen auch die Ergebnisse des aktuellen DKV-Reports.

Dr. Ingo Froböse

Die Deutschen sind gestresst und ärgern sich darüber im Sitzen!

Prof. Ingo Froböse Deutsche Sporthochschule Köln
Warum ist gesundes Verhalten mit Sport und guter Ernährung so schwer für viele Menschen? Anfang des Jahres sind die Fitnessstudios voll, nach Karneval nimmt die Motivation ab.

Froböse: Es ist unbestreitbar, dass wir alle wissen, dass wir aktiv werden sollten. Dennoch hat der innere Schweinehund oft einen stärkeren Einfluss auf uns. Dies liegt häufig daran, dass wir keine klaren Vorsätze fassen, keine spezifischen Ziele definieren oder manchmal sogar unrealistisch hohe Ziele anstreben. Diese Faktoren tragen dazu bei, dass uns der innere Schweinehund davon abhält, unsere Vorhaben in die Tat umzusetzen.

Beispielsweise sind Ziele wie „Ich möchte in einem Jahr einen Marathon laufen“ oder „Ich möchte 20 Kilogramm abnehmen“ oft zu ambitioniert. Stattdessen empfiehlt die Motivationsforschung, kleinere, erreichbare Ziele zu setzen, die innerhalb von etwa sechs Wochen realisierbar sind. Nach sechs bis acht Wochen sollten diese Ziele dann erreicht sein.

Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass Eigenverantwortung eine zentrale Rolle spielt. Jeder von uns ist für seine eigenen Entscheidungen selbst verantwortlich und kann nicht darauf warten, dass andere für unsere Gesundheit sorgen. Natürlich ist es entscheidend, dass der Staat und die Politik geeignete Rahmenbedingungen schaffen, doch letztendlich liegt es an uns, diese Möglichkeiten zu erkennen und zu nutzen. 

Woher kommt dieser Schweinehund? Was sind die größten Hindernisse und wie kann ich sie überwinden?

Siepelmeyer: Der „innere Schweinehund“ ist ein evolutionäres Schutzprogramm – er möchte Energie sparen, Risiken vermeiden und an Vertrautem und Erprobtem festhalten.

Der Schlüssel liegt wie gesagt meist in kleinen, machbaren Schritten: sogenannte Microactions: Eine Microaction ist eine kleine, bewusst gewählte Handlung, die so leicht umzusetzen ist, dass sie kaum Überwindung kostet – und trotzdem langfristig einen großen Effekt haben kann. Wer zum Beispiel jeden Morgen einen 10-Minuten-Spaziergang einplant, legt damit das Fundament für nachhaltige Veränderung. Auch ein klarer Plan hilft – am besten schriftlich.

Sarah Siepelmeyer

Struktur ist der stärkste Gegenspieler der Ausrede, denn sie nimmt uns Entscheidungen ab. Je klarer unser Alltag organisiert ist, desto weniger Raum bleibt für Verhandlungen mit dem inneren Schweinehund!

Sarah Siepelmeyer Deutsche Sporthochschule Köln
Wie lang braucht man, bis sich neue Routinen etablieren und man nicht mehr mit dem Schweinehund kämpft? Was nährt ihn, was ist ein gutes Gegenmittel?

Siepelmeyer: Verhalten zu verändern braucht Zeit. Studien zeigen, dass es zwischen 21 und 66 Tagen dauert, bis neue Routinen automatisiert ablaufen. Entscheidend ist nicht Perfektion, sondern Beständigkeit. Der innere Schweinehund meldet sich besonders dann, wenn wir müde, gestresst oder überfordert sind. Sein Lieblingsfutter ist Chaos. Ein wirksames Gegenmittel? Ein Plan, feste Zeiten für neue Gewohnheiten und soziale Unterstützung – zum Beispiel durch Programme, die regelmäßig und langfristig erinnern, motivieren und begleiten. 

Können digitale Tools helfen? Und wenn ja, wie und welche?

Siepelmeyer: Ja – digitale Tools können ein echter Gamechanger sein, wenn sie smart gewählt und sinnvoll genutzt werden. Sie helfen, Fortschritte sichtbar zu machen, Erinnerungen zu setzen und positives Feedback zu geben. Wichtig ist: Sie müssen zum Alltag passen. Gesundheitsprogramme, die sowohl mentale als auch körperliche Daten einbeziehen und über eine App einfach nutzbar sind, erleichtern gesunde Routinen im Alltag. Entscheidend ist, dass sie intuitive Unterstützung bieten – nicht zusätzlichen Druck. Ein klarer Aufbau und persönliche Relevanz unterstützen eine langfristige Integration gesunder Routinen.

Wie wichtig ist Selbstreflexion beim Aufbau gesunder Routinen – und wie gelingt sie im Alltag?

Siepelmeyer: Nachhaltige Verhaltensänderungen erfordern ein tiefes Verständnis dafür, warum wir handeln oder eben nicht handeln. Selbstreflexion ist der Schlüssel zu dieser Klarheit, denn sie hilft, unsere Bedürfnisse, Auslöser und Muster zu erkennen. Sie ermöglicht den Wechsel vom Autopiloten in den aktiven Gestaltungsmodus.

Bereits wenige Minuten täglich können große Wirkung entfalten. Fragen wie „Was hat mir heute gutgetan?“ oder „Was war mein Energie-Killer?“ fördern achtsames Handeln. Journaling kann helfen, um mentale Prozesse zu strukturieren. Schreiben ist ein kraftvolles Werkzeug, das uns ermöglicht, uns selbst ehrlich zu begegnen.

Man sagt immer, Du bist der Durchschnitt der fünf Menschen, mit denen Du die meiste Zeit verbringst“. Ist das so? Wie kann ich mir das zunutze machen?

Froböse: Die Förderung der eigenen intrinsischen Motivation ist wichtig, aber das Miteinander ist in der Tat eine wertvolle Quelle der Motivation und hat oft noch einen stärkeren Einfluss. Gemeinsame sportliche Aktivitäten steigern nicht nur den Spaß, sondern helfen uns dabei, unsere Ziele konsequenter zu verfolgen. Die Verantwortung gegenüber anderen motiviert uns, aktiv zu bleiben und Fortschritte zu erzielen, besonders in herausfordernden Phasen.

Zudem profitieren wir von den Erfahrungen und dem Wissen anderer. Freundinnen und Freunde, die Spaß an Bewegung haben, können wertvolle Impulse geben und als Vorbilder fungieren. Gemeinsames Training fördert den Teamgeist und macht Bewegung zu einem geselligen Erlebnis.

Zusammengefasst: Die Kombination aus Eigenverantwortung und sozialer Unterstützung durch sportliche Gemeinschaften ist eine nachhaltige Strategie im Umgang mit dem inneren Schweinehund. Der Austausch mit Gleichgesinnten kann einen entscheidenden Unterschied machen und uns langfristig motivieren.

Was können Arbeitgeber tun, um Gesundheit der Mitarbeiter zu fördern?

Froböse: Arbeitgeber haben großartige Möglichkeiten, zur Gesundheitsförderung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beizutragen – das ist nicht nur eine gesetzliche 3 Vorgabe, sondern vor allem eine echte Chance! Betriebliche Gesundheitsförderung sollte dabei fest in den Unternehmensalltag verankert sein.

Gezielte Anreize für gesundheitsfördernde Verhaltensweisen können zusätzliche Motivation schaffen, zum Beispiel durch konkrete Gesundheitsprogramme, kleine Belohnungen, Anerkennung im Team oder Benefits im Arbeitsalltag. Zudem sollten Gesundheitsthemen vor, während und nach der Arbeitszeit integriert werden – sei es durch Leihfahrräder für den Arbeitsweg oder gesunde Mittagessen.

Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz ist somit nicht nur eine Pflichtaufgabe, sondern auch eine wertvolle Chance, eine Unternehmenskultur zu schaffen, die Wohlbefinden stärkt und Leistungsfähigkeit langfristig fördert. 


Prof. Ingo Froböse

Prof. Ingo Froböse ist Universitätsprofessor für Prävention und Rehabilitation im Sport an der Deutschen Sporthochschule Köln und wissenschaftlicher Leiter des Forschungsinstituts für Training in der Prävention (FIT-Prävention). Er berät Bundestagsgremien sowie Krankenkassen in Fragen der Gesundheitsvorsorge und gilt als ausgewiesener Experte der bewegungsbezogenen Präventionsforschung. Darüber hinaus ist er Bestsellerautor, häufig gefragter Experte in den Medien und in verschiedenen wissenschaftlichen Beiräten tätig.

Dr. Ingo Froböse

Sarah M. Siepelmeyer

Sarah Siepelmeyer ist Psychologin, Autorin und Gründerin von Gesunde Impulse (gefördert im Rahmen der langfristigen Umstrukturierung des Gesundheitssystems).
Als Doktorandin an der Deutschen Sporthochschule Köln entwickelte sie das Programm zur bewegungsbasierten Gesundheitsförderung in Kombination mit verhaltenspsychologischer Prävention. Gesunde Impulse eignet sich besonders für Menschen mit stressigem Alltag, bewegungsarmen Tätigkeiten sowie für Arbeitnehmende mit hohem Dienstreiseanteil.

Sarah M. Siepelmeyer

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DKV-Report 2025

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