Digitalisierung & Technologie, 17. September 2025

Neue Digitaltrends im Silicon Valley – das Tempo hat angezogen

Eine Kolumne von ERGO CDO Mark Klein

ERGO CDO M

Das Silicon Valley ist und bleibt der Trendmotor der digitalen Welt. Zu den neuesten Trends gehören miteinander vernetzte KI-Systeme, die Probleme von einer Komplexität lösen werden, wie wir sie uns heute noch kaum vorstellen können. Beim jüngsten Besuch von ERGO CDO Mark Klein in Kalifornien aber ging es vor allem um das „heute“: Welche Technologien können uns heute schon bei ERGO weiterhelfen?

Im Rahmen von ESP2 haben wir uns 2020 ambitionierte Ziele gegeben. Eines davon: Wir wollen bis Ende 2025 in Deutschland und unseren internationalen Kernmärkten digital führend in der Versicherungsbranche sein – und es langfristig bleiben. Unseren Ehrgeiz manifestieren wir in inzwischen mehr als 110 gruppenweiten Anwendungen mit Künstlicher Intelligenz (KI). Dank unserer mehr als 90 Startup-Kooperationen digitalisieren wir kontinuierlich unsere Geschäftsprozesse – nicht nur durch KI, sondern auch mittels Process Mining, Robotics oder Phonebots. Auch die Interaktion mit unseren Kundinnen und Kunden wird immer digitaler beziehungsweise „hybrider“.

Welche neuen Technologien könnten für ERGO nützlich werden?

Doch auf den Erfolgen ruhen wir uns nicht aus. Denn das Tempo, mit dem speziell neue KIAnwendungen auf den Markt kommen, ist 2025 noch einmal gestiegen. Deshalb wollen wir frühzeitig wissen, welche neuen Technologien für ERGO nützlich werden könnten. Das macht die Arbeit unserer „Innovation Scouts“, die die Entwicklungen weltweit im Blick haben, so wichtig.

Als Unternehmen profitieren wir von den Wachstumschancen neuer digitaler Technologien und Ökosysteme. Wir können wirtschaftlicher und wettbewerbsfähiger werden, wenn wir unsere Services und Prozesse entlang der gesamten Wertschöpfungskette kontinuierlich und konsequent digitalisieren. Das kommt nicht nur unseren Kundinnen und Kunden zugute. Als Versicherer tragen wir – gerade in global unsicheren Zeiten – maßgeblich zur gesellschaftlichen, individuellen und wirtschaftlichen Stabilität bei.

Deshalb sind wir regelmäßig im Silicon Valley vor Ort, um von erster Hand die Neuerungen präsentiert zu bekommen.

KI wird zukünftig Dinge können, für die wir heute noch keine Worte haben.

Mark Klein, CDO ERGO Group

Google-Gründer Eric Schmidt: „AI is underhyped“

Im Vorfeld meines Besuchs habe ich mir einen Vortrag angeschaut, den der frühere CEO von Google, Eric Schmidt, im April vor Medizinern hielt: Eine gute Einstimmung auf die Themen im Silicon Valley. Zum Ende des Talks fragt Schmidt, warum es noch immer kein digitales Modell der menschlichen Zelle gibt. Das ist rhetorisch gemeint, die Antwort liefert er gleich mit: Weil das extrem schwer ist. Nun aber sei man kurz davor – Generativer KI (GenAI) sei Dank.

„AI is underhyped“ behauptet Schmidt deshalb in seinem Vortrag: Wir unterschätzen ihr Potenzial. KI wird zukünftig Dinge können, für die wir heute noch keine Worte haben. „Wir wissen nicht, wo die Grenzen von Wissen liegen“, sagt er. Und deshalb könnten wir auch nicht sagen, was entsteht, wenn jeder von uns ein „Äquivalent des intelligentesten Menschen in der Hosentasche haben wird.“ Schmidt läuft nicht Gefahr, die Tech-Welt zu rosarot zu malen – er ist ein nüchterner Mensch. Doch das enorme Innovationstempo liefert die Fakten selbst, welche die Tür zu einer schier unglaublichen Moderne aufstoßen dürften.

So haben zwei Firmen aus San Francisco – Google und der KI-Experte Anthropic – Algorithmen gebaut, die für die Vernetzung von KI sorgen werden. Dann wählen wir nicht mehr zwischen dem einen Modell oder dem anderen. Dann arbeiten verschiedene Systeme zusammen – wie ein Fließband aus KI-Agenten. Zusammen lösen sie Probleme oder vollbringen Dienstleistungen von einer Komplexität, die wir uns heute kaum vorstellen können. Über solche „Protokolle“ spricht derzeit das gesamte Silicon Valley. Ein Quantensprung, der erst wenige Wochen alt ist – basierend auf einer Technologie, die wenige Monate alt ist. Es ist keine Übertreibung, wenn ich schreibe, dass das Entwicklungstempo auch hier atemberaubend hoch ist (wenn Sie mehr über dieses Thema erfahren möchten, empfehle ich Ihnen diesen Grundlagen-Beitrag zu KI-Agenten in unserem //radar-Magazin).

Fertige KI-Lösungen für fast alle Bereiche von ERGO

Wir hätten uns bei unserem Besuch Hunderte Anwendungen anschauen können. Wir haben uns aber vor allem auf die beschränkt, die „enterprise ready“ sind. Lösungen also, die für große Unternehmen wie ERGO sofort implementierbar wären. Folgende Firmen fand ich dabei besonders spannend:

Anthropic will mit Large Languange Modellen (LLM) das Halluzinieren von KI deutlich reduzieren. Die eigene KI „Claude“ liefere heute schon präzisere und nachvollziehbarere Ergebnisse.

Foundation automatisiert mittels KI die Policenverwaltung sowie die Schadensabwicklung bei Versicherungen.

Hawso bietet synthetische „Zwillings“-Datensätze mit denselben statistischen Eigenschaften wie die Originaldaten an, jedoch ohne vertrauliche oder persönliche Informationen aus der realen Welt. So lassen sich Berechnungen und Simulationen durchführen, ohne dass die Personen selbst identifizierbar werden.

Mechanical Orchard wiederum hat eine KI-Plattform entwickelt, mit der sich Altsysteme in moderne Cloud-Formate migrieren lassen. Besonders beeindruckend: Die KI behebt Programmierfehler selbst. An Mechanical Orchard sind wir über den „ERGO Corporate Venture Fund“ – unseren Investment-Fonds für Technologieunternehmen – übrigens auch beteiligt.

Auch für den Personalbereich und das Marketing durften wir KI-Tools kennenlernen, die beispielsweise für das Rekrutieren neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie beim Onlinemarketing wertvolle Support-Funktionen übernehmen. Während wir 2024 allgemein über Generative KI gesprochen haben, sind wir ein Jahr später nun bereits deutlich fachlicher unterwegs. Für jede Sparte unserer Versicherung existieren inzwischen KI-Anwendungen, die auch uns bei der Automatisierung helfen könnten.

Innovationen von „morgen“ – eine smarte Brille, die auf Gesten und Bewegungen reagiert

Apropos „könnten“: Alle Lösungen, die ich beschrieben habe, haben wie gesagt die Marktreife erreicht. Derzeit prüfen wir gemeinsam mit den Fachbereichen, welche Lösungen einen Mehrwert für ERGO bieten – und wie wir sie zügig in die ERGO-Systemlandschaft integrieren.

Andere Technologien dagegen sind noch Zukunftsmusik. So war „KI-Agent“ ein Zauberwort, das bei keinem unserer Termine fehlte. Zwar sind die Agenten heute schon da, können etwa Restaurant-Buchungen für uns übernehmen. Jedoch wird – wie oben bereits angedeutet – in Zukunft eine ganze Agenten-Armada höchst komplexe Aufgaben autonom managen.

Hier ein Beispiel:

Agenten für Kfz-Anmeldung

Korrespondenz mit dem Agenten der Meldestelle – inklusive der Vorlage von Personalausweis, Meldebescheinigung, Fahrzeugschein, Fahrzeugbrief, TÜV- und Kfz-Steuer-Nachweis sowie Lastschriftenmandat. Nicht zu vergessen die Versicherungskorrespondenz – hier schaltet sich der nächste Agent ein – für die elektronische Versicherungsbestätigung. Das ist ein Prozess, der es in sich hat! Zwei bis vier Jahre sind wir von solchen Anwendungen entfernt, sagt Eric Schmidt. Andere Gesprächspartner, die wir treffen konnten, waren hinter verschlossener Tür zurückhaltender. „Die Entwicklung ist noch in einem frühen Stadium“, sagte uns einer. Dennoch sei es bereits jetzt an der Zeit, alles auszuprobieren und dabei hinzuzulernen.

Bei Meta getestet: Die smarte Brille „Orion“

Ähnlich verhält es sich mit der smarten Brille „Orion“, die wir getestet haben. Es dürfte noch länger dauern, bis das jüngste Modell von Meta in den Geschäften ausliegt. Bisher hat sich das Metaverse im Consumer-Bereich nicht so durchgesetzt, wie manche Experten prognostiziert haben (bei Industrieanwendungen für die Medizin und die technische Fernwartung sieht es anders aus). Die Meta „Orion“ ähnelt mehr einer herkömmlichen Brille als den Virtual-Reality-Modellen, die wir heute kennen.

Das Ziel, das Meta mit ihr verbindet, ist „kontextbezogener Support“. Also zum Beispiel: Sie schauen in den Kühlschrank. Die Brille schlägt daraufhin Rezepte vor auf Basis dessen, was im Kühlschrank ist. Für meine Begriffe nutzwertiger sind Videoanrufe auf die Brille, bei denen sich parallel andere Videos oder Grafiken einblenden lassen, für die ein Handheld-Display zu klein wäre. Ein besonderes Merkmal der Brille ist, dass sie natürliche Gesten und Muskelbewegungen orten und darauf reagieren kann.

Warum wir uns als Versicherer mit dreidimensionalem Internet und smarten Brillen befassen? Weil wir wissen, dass die nachfolgenden Generationen mit solchen virtuellen Welten immer vertrauter werden.

Mein Fazit des Besuchs im Silicon Valley – und was das für uns bei ERGO heißt

Erstens – hat sich das Tempo, mit der Innovationen weiterentwickelt werden, rasant erhöht. Beinahe im Wochenrhythmus passiert ein neuer „turn of the crank“, wie die Entwickler größere Innovationen nennen. Deshalb sollten wir bei ERGO wissbegierig bleiben, mit Lust, neue Dinge auszuprobieren – so wie das viele von uns mit ERGO GPT beeindruckend intensiv machen.

Zweitens – wird die Ordnung trotz zukünftiger AI-Agenten-Fließbänder immer dieselbe bleiben: KI unterstützt den Menschen, das ist das Leitprinzip. Nicht umgekehrt. Die allermeisten Gesprächspartner im Valley (und auch Eric Schmidt) unterstreichen das! Technik ist kein Selbstzweck, sie hilft uns Menschen. Kundinnen und Kunden erwarten letztendlich immer jemanden, der sie als Mensch wahrnimmt, ihre Umstände versteht, individuell und empathisch berät. Gerade bei einem Versicherer ist das so – und wird auch so bleiben!

Drittens – ist KI keine Disziplin von Digitalisierungsexperten, sondern lebt von der interdisziplinären Zusammenarbeit und wird insbesondere in den Fachbereichen ihren Nutzen entfalten. KI ist eine Zukunftsdisziplin, welche das gesamte Unternehmen kennenlernen und erlernen muss. Ich freue mich jetzt auf die Analyse, in der wir den Nutzen der Technologien für ERGO bewerten werden. Ich bin davon überzeugt, dass wir mehrere Anwendungen, die wir jetzt im Silicon Valley kennengelernt haben, schon in naher Zukunft bei ERGO im Einsatz haben, denn am Ende zählt nun die Umsetzung.

Herzliche Grüße!
Mark Klein 

Und hier noch zwei optische Eindrücke von der Reise:

Ein Mann steht in einer Küche und trägt eine auffällige Brille. Zu Besuch bei Meta: Mark Klein mit der Orion-Brille
Ein Treppenaufgang mit LED Bändern an den Stufen. Diese Treppe im Google HQ begrüßte die Gäste von ERGO, indem sie deren Namen einblendete: Mark Klein (Mitte) und Innovation Scout Stefan Hasselbeck (unten).

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Autor: Mark Klein, CDO ERGO Group

Mark Klein ist seit 2016 der Chief Digital Officer von ERGO. Zuvor war er bei T-Mobile Netherlands. Seine Hauptaufgabe bei ERGO ist die digitale Transformation des traditionellen Geschäfts im In- und Ausland. Zudem etabliert er neue, digitale Geschäftsmodelle.

Mark Klein – Chief Digital Officer – ERGO Group

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