Nachhaltigkeit & Engagement, 23. April 2025

Autisten-WG Oberreichenbach: Raum für ein freies und selbstbestimmtes Leben

Geförderte Projekte des ERGO Mitarbeitervereins

Autisten-WG Oberreichenbach

Für den zweiten Teil unserer Serie über beispielhafte Projekte, die unser gemeinnütziger Verein der ERGO Belegschaft „ergo: wir helfen e.V.“ fördert, geht’s ins mittelfränkische Oberreichenbach/ Kammerstein. Dort ist im vergangenen Jahr eine Idee Wirklichkeit geworden: In einer WG bekommen Autistinnen und Autisten die Chance, ein möglichst selbstständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen. 

Die Idee, eine besondere Wohnform zu entwickeln und mit Leben zu füllen, kam der Familie Barbara und Norbert Lang, die ihren autistischen Sohn Marc Aurelius 19 Jahre lang zu Hause gepflegt haben. Eine Mitstreiterin fand die Familie bei Kati Weigand von der ERGO Direkt mit ihrer heute 18-jährigen autistischen Tochter Francesca. Gemeinsam brachten sie die Autisten-WG an den Start, die sich mittlerweile als Erfolgsmodell etabliert hat.

Auf Bedürfnisse zugeschnittenes Umfeld

In der WG, einer ambulant betreuten Wohnform, finden die bis zu zehn Bewohnerinnen und Bewohner ein auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenes Umfeld mit familiären Wohn- und Lebensbedingungen. Jeder Bewohner hat ein eigenes Zimmer und kann die Gemeinschaftsräume nutzen. Je nach Bedarf werden sie rund um die Uhr betreut und in das alltägliche Leben eingebunden. Ein entscheidender Vorteil: Sie können selbst entscheiden, wer sie pflegt und wie sie die Betreuung wünschen. Denn in der ambulant betreuten Wohngruppe gibt es ein Mitspracherecht in der Auswahl der Assistenzkräfte.

Gerade für junge Menschen ist diese Wohnform sehr angenehm, weil sie auf diese Weise ein – so gut wie möglich – selbstbestimmtes Leben führen und individuell versorgt werden können. Zum Angebot in der WG zählen Basteln, Musiktherapie und Gedächtnistraining. Ein Angehörigengremium sichert eine gleichbleibend hohe Qualität der Versorgung und Pflege. Hier finden Interessierte weitere Infos: www.autisten-wg.de.

Familien kommen an ihre Belastungsgrenzen

Dass der „Standard“ anders aussieht, weiß Kati Weigand aus eigener Erfahrung. Sie blickt auf viele beschwerliche Jahre zurück, die sie oft an ihre Belastungsgrenzen gebracht haben. Schon als Baby schlief ihre Tochter Francesca kaum, aß wenig, war geräuschsensibel und kam nicht zur Ruhe. Jeder Tag kostete Kati Weigand viel Kraft. Mit zwei Jahren dann die Diagnose: eine schwere Form von frühkindlichem Autismus.

Schock und Schmerz saßen tief. Kati Weigand konnte zu diesem Zeitpunkt kaum erahnen, welcher Marathon noch vor ihr liegen würde. Jede neue Etappe, die sie in Angriff nahm, war verbunden mit dem festen Wunsch auf eine glückliche Lösung. Für sie als berufstätige Mutter war es schwer, Arbeit und Familie – in ihrem Fall die kontinuierliche Pflege eines Kindes mit Wutausbrüchen – zu vereinen.

Mit der Suche nach einem Wohnheim hatte sie schon früh begonnen. Als Francesca elf Jahre alt war, fand sie eine Einrichtung in Thüringen. Doch die Betreuung gestaltete sich schwierig. Nicht nur, weil sich der Zustand von Francesca zusehends verschlechterte, war sie ständig auf der Suche nach passenden Wohnheimen.

Autisten-WG als rettender Anker

Aber aufgeben wollte sie nicht. Über den Bezirk Mittelfranken hatte sie bereits Kontakt mit der Familie Lang, gemeinsam entwickelten sie das Konzept für die Autisten-WG – ein Projekt, das mit einem hohen organisatorischen, finanziellen und administrativen Aufwand verbunden war – und immer noch ist. Am 1. März 2024 war die offizielle Eröffnung. Heute arbeiten für die ambulante Pflege rund 50 Assistenzkräfte inklusive Fachkräfte mit fachpädagogischer Leitung und Security für die Autisten-WG, die als GbR firmiert und deren Geschäftsführerin Kati Weigand ist. Zudem ist viel Eigeninitiative der Angehörigen erforderlich, wenn es um die Themen Essenversorgung, handwerkliche Tätigkeiten, Gartenarbeiten, Kassenführung und Hauswirtschaft geht.

Raum für freies und selbstbestimmtes Leben durch großartige Unterstützung

„Wir haben einen Raum geschaffen, in dem unsere Kinder frei und selbstbestimmt leben können. Der erste Schritt ist getan. Nun gilt es, die WG weiterzuentwickeln, was, wie alles im Leben, mit Ausgaben verbunden ist. Dafür sind wir auf Unterstützung angewiesen. Unser gesamtes Projekt wurde ausschließlich durch Geld- und Sachspenden finanziert. Jede noch so kleine Spende hilft uns weiter, unseren Bewohnern auch in Zukunft ein abwechslungsreiches und erfülltes Leben zu bieten“, erklärt sie und weist darauf hin, dass nach wie vor Dinge des Alltags weiterhin dringend gebraucht werden: „Möbel, Geschirr, Weihnachts- und Osterdeko, Werkzeug, Schneidbretter, Kaffeemaschine, Besteck, Plastikteller, Wäscheständer, Gartengeräte und vieles mehr haben uns sehr geholfen, ein schönes Zuhause zu schaffen. Aber wir stehen immer noch am Anfang und freuen uns auch weiterhin über jede Zuwendung.“

Jeder Förder-Euro ist gut eingesetzt

Viel Rückhalt fand Kati Weigand im Umfeld bei ERGO, nachdem sie in die Offensive gegangen war und auf ihre Lage über interne Kanäle aufmerksam gemacht hatte. „Die Reaktion war überwältigend“, sagt sie. „Ich hatte nicht damit gerechnet, dass die Bereitschaft zu helfen so groß sein würde. Ich erhielt viele Geld- als auch Sachspenden.“ „ergo: wir helfen“ ist überzeugt, dass jeder Förder-Euro bei der Autisten-WG an der richtigen Stelle eingesetzt ist.

Text: Bärbel Naberbäumer/Martin Sulkowsky

Autismus Mittelfranken e.V.: Aktiv für solidarisches Miteinander

Der Verein „Autismus Mittelfranken e.V.“ ist ein Selbsthilfeverband für Autistinnen und Autisten sowie deren Eltern und Angehörige. Zu den vorrangigen Aufgaben gehören unter anderem die Unterstützung von betroffenen Familien, die Unterrichtung von Fachpersonal, Initiativen zur geeigneten Beschulung, Zusammenarbeit mit Behörden, Pädagogen, Therapeuten und Medizinern sowie Zusammenarbeit mit anderen Behindertenorganisationen und Autismusverbänden, vor allem dem Autismus Kompetenzzentrum (Autkom).

Autismus Mittelfranken e.V.: https://www.autismus-mfr.de/

Informationen zu ergo: wir helfen: www.ergo.com/de/nachhaltigkeit/handlungsfelder/engagement


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